Die Hoffnung ist wie ein Sonnenstrahl,
der in ein trauriges Herz dringt.
Öffne es weit und lass sie hinein.
Friedrich Hebbel
Die Geschichte des Buches ist ebenso einfach wie traurig: Fred Wiener ist alleinerziehender Vater und hat sich zum Sterbebegleiter ausbilden lassen. Seine allererste Betreuung bringt ihn schnell an seine Grenzen und zeigt ihm die gewaltige Herausforderung, der er sich gestellt hat. Er soll Karla Jenner-García begleiten, eine sechzigjährige Frau mit Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie ist sehr eigenwillig und lässt Fred schon bei ihrer ersten Begegnung spüren, dass Sterbende Stereotype verabscheuen und lieber ihren eigenen Regeln folgen. Bezeichnend dafür ist ihre Antwort auf seine Frage, was sie gerne noch tun würde in der Zeit, die ihr noch bleibt:
„Ist das Ihr Unterhaltungsprogramm für Sterbende, Herr Wiener?“, fragte Karla. „Ich setze eine Liste mit meinen Wünschen auf, die wir dann zusammen abarbeiten? Ein letztes Mal ans Meer? Noch einen Film für die Nachwelt drehen? Ich war noch nie in einem Sexshop oder so?’“
„Warum nicht“, sagte er vorsichtig.
„Dann sind Sie sehr romantisch, Herr Wiener. Wenn ich Listen schriebe, dann sind es welche, auf denen steht, welche Todesarten mir noch weniger gefallen als die, an der ich sterben werde. Ich schreibe Listen mit meinen gebrochenen Versprechen und all den Dingen, an die ich nie geglaubt habe. Ich schreibe eigentlich nur noch Listen. Für alles andere fehlen mir die Worte.“
Fred bemüht sich sehr um Karlas Wohlergehen, macht dann allerdings den Fehler, sich in Karlas ungeklärte Familienangelegenheiten einzumischen. Mehr Erfolg hat er mit der Idee, seinen 13-jährigen Sohn Phil dazu zu bewegen, für Karla ihre ganze Fotosammlung aus ihrem bewegten Leben einzuscannen. Phil ist ein literarisch begabter Einzelgänger, der in Karla eine Vertraute findet und im Umgang mit ihr zunehmend Selbstvertrauen gewinnt. Er ist beeindruckt von ihrer Charakterstärke und ihrer Entschlossenheit, vor allem in Bezug auf ihre Wünsche für ihr eigenes Sterben.
Sprachlosigkeit ist ein zentrales Thema
Auffällig ist, in wie vielen Facetten sich in dieser Geschichte Kommunikationsschwierigkeiten von Menschen zeigen: Vater und Sohn harmonieren besser gemeinsam schweigend als im Dialog, beide zeigen große Unsicherheit in Gesprächen mit Karla, Karla redet seit Jahrzehnten überhaupt nicht mehr mit ihrer Schwester und selbst im Mediationskreis der ehrenamtlichen Hospizhelfer kann auch der Redestein nur bedingt für fruchtbare Gespräche sorgen. Es ist irgendwie tröstlich, dass die Menschen in dieser Geschichte nicht nur beim Thema Abschied Schwierigkeiten damit haben, ihre Gefühle in Worte zu fassen.
Auch wenn viele Details des Sterbeprozesses hier ausgeblendet werden, merkt man dem Roman an, dass die Autorin mit dem Thema wirklich vertraut ist. Susann Pásztor macht seit Jahren selbst ehrenamtlich Hospizarbeit. Vielleicht schafft sie es deshalb mit ihrer nüchternen Sprache, sich nie im Ton zu vergreifen und gerade durch das Weglassen vermeintlich gefühlsbetonter Floskeln dem Tod in diesem Roman so viel Würde zu verleihen. Es blitzt immer wieder an unerwarteten Stellen Humor auf, der die Geschichte nicht weniger traurig macht, ihr aber eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Die Lektüre mag zwar trotzdem an einigen Stellen zu Tränen rühren, aber im Nachhall löst sie eine unbeschwerte, fast heitere Stimmung aus und bei dem einen oder anderen Leser im besten Fall sogar eine ungeahnte Portion Lebenslust.
Cathrin Gawlista
Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. Kiepenheuer & Witsch, 2017.
Foto: Verlag Kiepenheuer & Witsch